Gedanken zum Leben: Good bye Daddy Cool!

Was ich aus dem Tod meines Vaters gelernt habe, und dir wünsche…

Im Juli 2009, das glückliche Kind war vor wenigen Monaten auf die Welt geschlüpft, ist er gestorben. Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Im Moment als er aufhörte zu atmen, habe ich seine Hand gehalten. Heute hätte er seinen 77. Geburtstag gefeiert. Ich bin seine einzige Tochter und natürlich hat mich der erste Mann in meinem Leben auf eine ganz besondere Art geprägt. 

Wunschkind und Rosenkrieg*

„Du warst ein Wunschkind!“ habe ich gehört und zumindest in den ersten Jahren meiner Kindheit auch so empfunden. Kurz bevor ich eingeschult wurde, ist meine Mutter mit meiner Schwester** und mir vom gemeinsamen Elternhaus und Betrieb ausgezogen. Es war eher eine heimliche Flucht. Der Scheidungskrieg meiner Eltern dauerte solange, bis von allem, was sie sich mit Fleiß und Schweiß hart erarbeitet hatten, nichts mehr übrig blieb, außer einem alkoholkranken Vater und einer nervlich völlig zerrissenen Mutter.

Dass meine Mutter nicht gut über meinen Vater sprechen konnte, habe ich irgendwann verstanden. Für mich war es als Kind sehr verstörend, denn wenn ich bei meinem Vater war, fand ich es immer schön mit ihm: er hat mir das Schwimmen beigebracht, wir sind Essen gegangen und er hat mir tolle Geschichten erzählt, zum Beispiel wie er im Meer mit den großen Kraken gekämpft hat. Ich habe mich an ihn gekuschelt und durfte „Captain Future“ schauen, während er seinen Rausch ausschlief. Für mich war er stark und toll. Als kleines Mädchen zumindest.

Irgendwann kam die Zeit, da schämte ich mich fürchterlich für meinen alkoholkranken Vater. 1988 begann ich meine Ausbildung und nicht wenige in dieser Firma mit damals über 300 Beschäftigten, sprachen mich auf ihn an: „Du bist doch die Tochter von…“. „Ja, leider“ schoss es mir damals oft in den Kopf.

Mein Vater ist beruflich nach der Trennung und durch die Sucht auf keinen grünen Zweig mehr gekommen: Er war ein talentierter, selbstständiger Glasbläser, der mir zu meinem 8. Geburtstag Tulpen in einer Vase aus Glas geschenkt hat. Offene und geschlossene Blütenkelche, rote und gelbe, absolut naturgetreu. Ich liebe Tulpen und ich liebe meinen Vater, der nicht jedes Jahr an meinen Geburtstag dachte.

Eines der wenigen Glasfiguren, die ich noch habe und die mein Vater selbst gemacht hat (c)www.hundert-werden.de

Es gab Zeiten, da hat er mir deutlich zu verstehen gegeben, dass er nicht daran interessiert sei – nicht an mir, meinem Leben, seinem Wunschkind interessiert sei. Verstanden habe ich das nie. Wenn wir uns beim Einkaufen begegnet sind, tat er so, als seien wir Fremde.

Das Ende der Funkstille

Nach Jahren mehr oder weniger Funkstille haben wir uns wieder angenähert. Ich habe ihn angerufen, wollte wissen was er macht. Wenn ich bei ihm war, in der spartanisch eingerichteten Wohnung mit den alten Glasbläsertischen aus den 70ern, auf denen er Essen für uns kochte, haben wir viel gelacht. Bei ihm habe ich den besten Karpfen meines Lebens gegessen. Mittlerweile war er Diabetiker, musste sich spritzen, hat das aber mit Bewegung und Ernährungsumstellung gut in den Griff bekommen. Nach 50 Jahren hat er es sogar noch geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören und den Alkoholkonsum hatte er zwischenzeitlich auch unter Kontrolle.

Das habe ich unglaublich bewundert, denn es war ja nicht so, dass er in einer neuen, glücklichen Beziehung, einem guten sozialen Umfeld lebte, sondern er war meistens allein, hatte wenige Freunde und lebte finanziell am Existenzminimum. Ich habe mich oft gefragt, mit welchen Gedanken und Gefühlen er auf sein Leben zurückblickt.

Als wir im Herbst 2008 wieder miteinander telefonierten, war ich bereits schwanger und er schon längst vom Krebs gezeichnet, was er mir aber nicht sagen wollte, nur, dass er im Krankenhaus war. Er fragte mich, ob er denn auch einmal sein Enkelkind auf den Arm nehme dürfe, wenn es da ist?„Natürlich, gerne!“ Er freute sich unglaublich auf seinen ersten Enkel! Dazu kam es aber leider nie.

Mitte Juli 2009 erhielten wir einen Anruf und ich erfuhr, dass er Bauchspeicheldrüsenkrebs hat und seine Lebenszeit sehr begrenzt ist. Man sagte mir ausdrücklich, dass er keinen Kontakt zu mir will. Im Krankenhaus hatte er angegeben, dass er keine Angehörigen hat. Das war für mich derart schmerzhaft, so, als ob mir einer einen Dolch ins Herz stieß, ich heulte, wusste nicht was ich tun sollte, konnte und war so verunsichert. Auch wenn ich täglich über seinen Zustand informiert wurde, war ich hin- und hergerissen, untätig zu sein …. Nach dem Wochenende kam er wieder in’s Krankenhaus und ich musste einfach zu ihm.

Am Montag, den 13. Juli 2009 betrat ich das Krankenzimmer und näherte mich langsam dem Menschen dort im Bett. Ich habe den Mann, der da lag, minutenlang angestarrt, es war warm und sein Unterkörper war unbedeckt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das was ich da sah, mein Vater sein sollte. Dann entdeckte ich die Tätowierung an seinem Unterarm, die mir jegliche Zweifel nahm. Ein völlig ausgemergelter Körper, der offen stehende Mund röchelnd nach Luft, nicht fähig sich zu artikulieren. Ich habe meinen ganzen Mut zusammen genommen und mich auf sein Bett gesetzt und seine knochige Hand in meine genommen und zu ihm gesagt, dass ich, seine Tochter, jetzt da bin und dass alles gut wird. Voll mit Morphium war seine Reaktion gering, trotzdem hatte ich das Gefühl, er wusste, wer da seine Hand hält. Mir liefen einfach nur die Tränen.

Nun bin ich jeden Tag, sobald der Ehepeter zuhause war und sich um das glückliche Kind kümmern konnte, zu ihm ins Krankenhaus, habe seine Hand gehalten und mit ihm gesprochen. Nur vier Tage später, bekam ich am Vormittag die Nachricht, dass sich sein Zustand weiter verschlechtert hatte und ich schnellstmöglich kommen sollte. Mein Herz raste. Wie in Trance radelte ich die 6 Kilometer ins Krankenhaus so schnell ich nur konnte. Es war kurz nach 12.30 Uhr. Ich setzte mich wieder an sein Bett und nahm seine Hand und sagte ihm, dass ich da bin. Einige wenige Minuten später hat er aufgehört zu atmen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass er auf mich gewartet hat. Und ich bin sehr, sehr dankbar, dass ich bei ihm sein konnte, damit er nicht alleine sterben musste. Er wurde 68 Jahre alt.

Was ich daraus gelernt habe

Als die Nachricht kam, dass er sterbenskrank ist und zu den PflegerInnen sagte, dass er keinen Kontakt will, hätte ich allein auf mein Herz, mein Bauchgefühl, meine Intuition hören sollen und gleich zu ihm gehen. Dann wäre es vielleicht noch möglich gewesen, ihn bei Bewusstsein anzutreffen und ihn zu fragen, ob er sich noch etwas wünscht oder wie er sich seine Beerdigung vorstellt. Ich hätte meinen Vater für die letzten Tage gerne nachhause zu uns geholt und er hätte noch einmal die volle Ladung Leben abbekommen. Das hätte ihn vielleicht für einige Momente glücklich gemacht.

Was mich auch traurig gemacht hat ist, dass er seinen Schwiegersohn, den Ehepeter nie kennengelernt hat. Beide hatten, bzw. haben einen ähnlichen, speziellen Humor, den ich sehr liebe.

Hätte, hätte, Fahrradkette …

Was ich aus dieser so schmerzlichen Erfahrung gelernt habe, ist, dass ich lieber auf mein Herz hören sollte, als auf manch bestimmt sehr gut gemeinten Ratschläge. Viel wichtiger aber ist für mich die Erkenntnis, nichts aufzuschieben und schon gar nicht das Verzeihen und Versöhnen, mit den Menschen, die dir nahe stehen oder einmal standen und auch sich selbst seine „Fehler“ zu verzeihen. Für mich gehört mittlerweile auch dazu, den Menschen deutlicher zu zeigen, wieviel sie mir bedeuten. Alles Dinge, die ich erst lernen musste und immer noch üben muss.

Irgendwann kommt nie

Das ist schwierig und erfordert eine Portion Mut, das tut auch weh, aber irgendwann ist es zu spät. Irgendwann kommt nie. Und wenn man den alten Scheiß, die Verletzungen endlich hinter sich lassen konnte, dann fühlt sich das wie die Metamorphose an und du wirst zum Schmetterling.

Als ich das erste Mal nach dem Tod meines Vaters seine Wohnung betrat, habe ich in jedem Zimmer Fotos von mir an der Wand hängen sehen. Ich weiß, dass er stolz auf mich war. Und ich bin stolz darauf, dass ich das ein oder andere Talent von ihm habe. Eine Hospizmitarbeiterin hat mir einen Umschlag von meinem Vater an mich überreicht. Seine Tasche im Krankenhaus enthielt unter anderem einen Brustbeutel mit dem Brief, den ich ihm anlässlich der Geburt des glücklichen Kindes schrieb mitsamt der Fotos seines Enkels.

Daddy cool und ich (c)www.hundert-werden.de

An seinem 7. Todestag habe ich das erste Mal nicht mehr geweint, die Geschehnisse von damals als unabänderlich akzeptiert, meine Schuldgefühle losgelassen und auch mir verziehen. Ich kann mich an die schönen Erlebnisse mit ihm erinnern und bin dankbar dafür. Ein Kosenamen, den mir mein Daddy gegeben hatte, war übrigens „Schmetterling“.

Für meinen Papa habe ich eine schöne Zwillingsbuche in einem Ruheforst ausgesucht. Dem glücklichen Kind sagen wir, dass der „Opapa“ vom Himmel herabschaut und viel Freude dabei hat, wenn er es sieht.

Und das wünsche ich dir: Die Kraft Wichtiges sofort zu erledigen und den Mut auf dein Herz zu hören!

Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit!

Sandra, Bloggerin vom Bodensee

*Aus Rücksichtnahme und Schutz der Privatsphäre der Beteiligten habe ich die damaligen Gegebenheiten nicht weiter ausgeführt.

** Meine Schwester und ich haben die gleiche Mutter, ihr Vater ist ein anderer Mann.

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Autor: Sandra

Bloggerin von www.hundert-werden.de

4 Gedanken zu „Gedanken zum Leben: Good bye Daddy Cool!“

  1. Liebe Sandra,

    zugegeben, ich habe gezögert das zu lesen, aber du hast das so wunderbar geschrieben, dass ich Tränen in den Augen hatte.

    Ich weiss, dass er dich geliebt hat. Du warst sein größter Stolz. Und ganz sicher hast du deine kreative Ader von ihm. Was er aus Glas machen konnte, war einfach unglaublich.

    Alles Liebe,

    deine Schwester Carmen

  2. Liebe Sandra,
    ich habe Deine Geschichte gelesen und weine, weil wir noch mehr gemeinsam haben als bisher schon gedacht. Mein Vater ist mit 61 Jahren (vor 13 Jahren) gestorben, auch Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er hat sich leider nie viel um mich und meine Brüder geschert, reiste lieber mit und auf Kosten seiner zweiten Frau durch die Welt, während wir Sozialhilfeempfänger wurden. Rosenkrieg mit meiner Mutter inclusive. Mein Vater rief mich 14 Tage vor seinem Tod an und teilte mir mit, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben wolle, danach legte er auf. Das war sein letztes Lebenszeichen von ihm. Bis ich 6 Jahre alt war, fand ich meinen Vater toll, dann wurde ich älter und merkte, dass er von morgens bis abends trank. Nüchtern war er immer nur, wenn er ins Krankenhaus kam.
    Ich freue mich von Herzen für Dich, dass Du so friedlich über Deinen Vater schreiben und empfinden kannst….und kann grad gar nicht aufhören zu weinen, weil mir selbst das nicht gelingen mag. Bis heute jedenfalls nicht.
    Aber ich nehme mir Deine Erfahrung trotzdem sehr zu Herzen und versuche, vielleicht noch Frieden zu schließen mit meiner Mutter. Jedenfalls halbwegs. Auch das ist eine sehr spezielle, leidvolle Geschichte.
    Die Erfahrung mit meinen eigenen Eltern hat mich aber zu einer Mutter gemacht, die ihre Kinder über die Maße liebt und es Ihnen auch sagt und fühlen lässt. Keine Helikoptermum, sondern eine echte, liebe Mutter.
    Ich drück‘ Dich aus der Ferne, liebe Sandra?
    Liebe Grüße
    Sabrina(liese’s leben)

  3. Liebe Sandra, danke für diesen ausfühlichen, ehrlichen und sehr persönlichen Bericht. Es steckt sehr viel Stoff zum Nachdenken drin… Liebe Grüße @glücksoma

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