Von Liebe und Abschied
Heute morgen habe ich für meine Weihnachtspost Adressen recherchiert als auf einmal eine neue E-Mail aufploppte: „Hallo Frau Bethäuser, habe vor einigen Tagen Ihren Brief erhalten …“. Zuerst dachte ich an eine Junk-E-Mail, denn der Absender war mir nicht bekannt. Aber dann lese ich weiter: „…dass mein Bruder am 09. Dezember 2018 verstorben ist“.
Gerade fängt es an zu schneien. Die Flocken fallen ganz sanft vom Himmel. Es werden immer mehr. Mir laufen die Tränen über‘s Gesicht. Das war also der Grund, weshalb ich gar nichts mehr von ihm hörte und auch alle meine E-Mails zurückkamen?
Spekulatius und eine stabile Säule
Er war Freund und eine zeitlang Vater-Ersatz. Meine Eltern haben sich getrennt, kurz bevor ich eingeschult wurde. Er ist mit mir in den Zoo gegangen und in den Wald Pilze suchen. Er hat mir Tischtennis spielen beigebracht und wir haben ungefähr tausendmal Malefiz und Kniffel gespielt. Es gab Lindenblüten- oder Scharfgarbentee mit Honig und Spekulatius. Er schrieb tolle, lustige Gedichte für und über mich. Und manche munkelten, dass er nur wegen uns von Berlin zurück in seinen Geburtsort zog. Ich durfte immer zu ihm kommen.
Wie so oft haben wir uns aus den Augen verloren, als meine Mutter einen neuen Partner und ich in der Pubertät genug mit meinem inneren Chaos zu tun hatte.
Späte Erkenntnis, tiefe Dankbarkeit
Als ich vor einiger Zeit das Aufräumprojekt Magic Cleaning von Marie-Kondo machte und dabei alle, alle Fotos noch einmal anschaute, entdeckte ich das Foto von dem kleinen blonden Mädchen, das sich liebevoll an diesen Mann kuschelt. Da erst erkannte ich, welch wichtige Rolle er in dieser Zeit in meinem Leben spielte und dass er in dieser so unsicheren, für mich als Kind so verwirrenden Zeit eine relativ stabile Säule in meinem Leben war. Bei ihm fand ich liebevolle Momente von unbeschwerter, fröhlicher Kindheit. Dafür bin ich so dankbar und habe versucht, das in einem Brief an ihn auszudrücken.
Im November 2018 erhielt ich seinen Antwort: „Deine Zeilen berührten mich tief! Auch ich empfinde tiefe Dankbarkeit für jene Zeit….“
Ich habe mich unglaublich gefreut, dass meine Worte ihn erreicht haben und er empfand wie ich. Trotz der Jahrzehnte, die mittlerweile dazwischen liegen. Ich bin dankbar und froh, dass ich diese Zeilen überhaupt geschrieben und abgesendet habe. Gerne hätte ich diesen Kontakt wieder aufgenommen. Das, was mir am Wichtigsten war, konnte ich ihm glücklicherweise noch mitteilen. Kurz danach ist er alleine in seiner Wohnung verstorben. Er lebte sehr zurückgezogen.
Was wirklich zählt
Zwischenzeitlich hat sich eine leichte Schneedecke über die Dächer gezogen und aus Schnee ist Regen geworden. Die Tropfen klopfen lauter gegen das Fenster. Mir ist kalt. Ich denke an das Buch von Bronnie Ware „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ und daran, dass ich hoffentlich noch genug Zeit haben werde, den Menschen die mir alles bedeuten, diese Liebe, Freude und Dankbarkeit zum Ausdruck bringen zu können. Genau das wünsche ich euch auch. Und das nicht nur zwischen Spekulatius und Glühwein ♥
Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit. Ich wünsche dir Gesundheit, Glück und ein langes Leben,
Sandra, deine Bloggerin vom Bodensee
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